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Welchen Nutzen hat die Diskussion um den Kohleausstieg?

von Bernd Klane, 12/2018

In der Presse ließ sich 2018 die Diskussion um den Kohleausstieg verfolgen. Die Regierung, die Parteien, die Energiekonzerne, die NGOs, die Gewerkschaften und weitere gesellschaftsrelevante Institutionen streiten öffentlichkeitswirksam um die Zukunft Deutschlands im Spannungsfeld von Nachhaltigkeit, Klimawandel und Erhalt von fossilen Wirtschaftsstrukturen. Dies kann mit etwas Brancheneinblick und zusammenhängendem Denken eigentlich nur als Ablenkungsmanöver verstanden werden, das den Eindruck von Ratlosigkeit angesichts der wirklichen Energieprobleme verschleiern soll – und das in erstaunlicher Einigkeit aller Akteure.

Wie fern ein Kohleausstieg ist, wird deutlicher wenn folgende Realitäten und Einzelaussagen nebeneinander gestellt werden:
Hier zunächst eine regionale Betrachtung, die die Stromquellen in Baden-Württemberg (BW) im Verlauf eines sonnigen Wintertages analysiert. (Quelle: Transnetbw)


Man erkennt das Erscheinen der klaren Wintersonne an den violetten Balken, die Mittagsspitze macht 800 MW aus, im Tagesmittel deckt die Sonne nur ca. 1,5% ab. Am Vormittag weht ein überdurchschnittlicher Wind, abends flaut er ab.

Im Tagesmittel decken Kernkraft (40,4%) und Kohle (19,5%) die größten Beträge ab. Pumpspeicherwerke (blau) können den nicht benötigten Strom der KKW der Nacht am Tag nutzbar machen.

Ergänzend hier für BW die Stromquellen im Jahresmittel 2016 :
Kernkraft 34,5%, Kohle 29,0%, Erdgas 6,0%, Pumpspeicher 3,2%, Biomasse 8,3%, Laufwasser 8,1%, Photovoltaik 7,9%, W ind 2,1%

Quelle: Umweltbundesamt

Weitere Aspekte und Aussagen
1.) 2020 bis 2022 sollen die Kernkraftwerke abgeschaltet werden (Atomausstieg BRD).

  • Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sieht dadurch die Versorgungssicherheit nicht gefährdet, da für den Ausgleich „der europäische Energiemarkt“ genutzt werden soll.
  • Für Baden-Württemberg liegt nahe, dafür französischen Atomstrom zu importieren, da ein Stromtransport über viele 100 km unwirtschaftlich ist. Ein neues, geeignetes Stromnetz (Stichwort Netzausbau) könnte zwar grundsätzlich Windstrom vom Norden in den windarmen Süden bringen. Wie ca. 4600 MW Strom allein für Baden-Würtemberg wetterunabhängig abrufbar werden sollen, müsste erst einmal mit Konzepten aufgezeigt werden. Das entspräche der Volllast von über 1000 großen Windrädern bei entsprechendem Wind.

2.) Öffentlich wird der Bau von elektrischen Wärmepumpen zum Beheizen von Wohnungen empfohlen und gefördert. Dadurch wird in der Heizperiode neuer Strombedarf entstehen. Der PV-Strom des Sommers kann jedoch nicht für den Winter gespeichert werden.
Da im Jahresmittel der deutsche Strombedarf zu ca. 37% aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden kann, wird Strom in der Wahrnehmung zunehmend eine „grüne Energie“. Das bedeutet jedoch nicht, dass die konventionellen Kraftwerke im Winter abgeschaltet werden können.
3.) Strom lässt sich in Deutschland noch immer nicht in Mengen speichern, die hinsichtlich der Kapazitäten von Kernkraft und Kohlestrom auch nur annähernd relevant wären.

  • P2G-Speicher (Power-to-Gas) funktionieren physikalisch bedingt nur mit großen Energieverlusten bei der Wandlung. Wurde einmal Strom mit vielleicht 45% Verlust in Methan umgewandelt, sollte man diesen am besten im Erdgasnetz nutzen, sprich in Gasheizungen oder Gas-Autos verwenden. Bei Rückwandlung in Strom würde man wieder etwa 50% der Restmenge verlieren. Es gibt bisher nur Technikumsanlagen. Anlagen für nennenswerte Strommengen sind nicht in Sicht.
  • Der Ruf, Speichertechnologien wie P2G, Druckluftspeicher oder Akkumulatoren intensiver zu fördern verkennt die technischen Realitäten hinsichtlich Grenzen durch Naturgesetze und Größenordnungen des Energiekonsums.
  • Ein Smart-Grid hätte an Wintertagen keine Stromkapazitäten verfügbar, um alle Kühltruhen, Wärmepumpen und Waschmaschinen bei Sonnenaufgang einzuschalten.


4.) Elektromobilität wird als Zukunftshoffnung gefördert. Am ehesten gelingt es damit jedoch lediglich, die Emissionen aus der Stadt in das Umland (oder in die Atomendlager, die die nächste Generation angeblich bis 2050 bauen wird) zu verlagern.
Geht man dem ingenieurmäßigen Ansatz konsequent nach, (zukünftige) Anlagen für die Stromversorgung systematisch zu bewerten durch:
A) Energiebilanzen
B) Stoffbilanzen hinsichtlich Anlagenaufwand und Betriebsstoffen
C) Kapitalaufwand
liegt nahe, dass der momentane Umgang mit Energie, die Begrenztheit und die Fluktuation der Erneuerbaren Energiequellen ein Weiterbetreiben der konventionellen Kraftwerke zur Stromerzeugung auf lange Zeit erzwingen wird. Erdgasgetriebene GuD-Kraftwerke wären die naheliegende Brückentechnologie, aber noch keine Lösung. Der Schwenk von Kohle auf Erdgas bietet zwar technische Verbesserungen, fixiert uns aber auch noch Jahrzehnte an fossile Energie.

Die Diskussion um einen Kohleausstieg ist in dieser Form bedeutungslos. Erst müsste für den seit März 2011!! beschlossenen Atomausstieg die erforderliche Brückentechnologie gebaut werden statt auf die Kompensation durch Stromimporte (Atomstrom aus Frankreich und Kohlestrom aus Polen etc.; in Regierungsdeutsch „Dialog mit unseren Energienachbarn“) zu setzen. Dann erst kann der Kohleausstieg beschlossen, vorbereitet und vollzogen werden. Die Stromkonzerne wissen das. Mit der derzeitigen Diskussion spielen die handlungsunfähigen Akteure auf Zeit, verlieren wird die Umwelt.

. . . die Konsequenzen
Wenn wir die Informationen und die Diskussion in Politik und Wirtschaft betrachten, fehlt uns das Ringen um ein schlüssiges Konzept, bei dem die heutigen Gegebenheiten und ein weitsichtiges Zukunftsziel zusammengebracht werden. Alle 5 Jahre wird von einem Partikularinteresse zu einem nächsten geschwenkt, obwohl doch die ganz erheblichen Unstimmigkeiten leicht einzusehen sind. Diese kommen jedoch nicht in die Diskussion. Wir wollen daher die Aufmerksamkeit auf den heute noch wenig populären Ansatz einer wirklichen Energiewende fokussieren:
„Eine wirkliche Energiewende wird uns dahin bringen, unseren Energiebedarf aus regenerativen Quellen zu decken. Da diese Quellen von geringer Energiedichte sind und die Nutzung im nachhaltigen Maß begrenzt ist, müssen wir lernen, unseren Verbrauch an den möglichen Zufluss aus der Natur anzupassen.“
Die Realität begrenzter Ressourcen legt uns nahe, ein Bewusstsein für Grenzen des Konsums zu entwickeln und unseren Energieverbrauch drastisch zu ändern. Wer suggeriert, wir könnten das Konsumverhalten aus 150 Jahren fossil versorgter Industrialisierung beibehalten und
lediglich durch technische Maßnahmen erneuerbar gestalten, verschleiert die Realität und lässt Vernunft und Einsichtsfähigkeit des Menschen außer Acht.
Aus unserem Alltag der Heizungserneuerung wissen wir: Wer die Möglichkeiten der erneuerbaren Energien anhand von Sonnenwärme oder Brennholz konkret vor Augen hat, ist von selbst zu einem zukunftsfähigen Energiekonsum bereit und senkt seinen Verbrauch in allen Lebensbereichen. Energieverbrauch muss fühlbar werden und die Begleiterscheinungen müssen erlebbar werden.
Bedroht etwa eine Bewusstseinsentwicklung zu wirklicher Vernunft die Interessen von Wirtschaft und Politik? Bräuchte es nicht vor allem den oben skizzierten Paradigmenwechsel?
Dies ist vor allem ein Prozess der Bewusstseinsbildung und der Wahrnehmung von den Naturreichen, den Möglichkeiten und Grenzen eines realistischen Haushaltens mit allen naturgegebenen Ressourcen (Wortbedeutung Ökologie). Ein Wahr-Nehmen der Natur der Erde und ihren vielseitigen Erscheinungen durch den Einzelnen ist für die Zukunft erforderlich.

Positionspapier B.Klane Stand 2018

Aktualisierende Ergänzung vom Januar 2023 : Übergewinne, Streckbetrieb und Solarbooster

Im Jahr 2022 zeigte sich, dass das Abschalten der Atomkraftwerke nur konfliktfrei möglich ist, wenn man eine alternative, tragfähige Stromversorgung aufgebaut hätte. In Deutschland mussten wir im Jahr 2022 hinnehmen, dass sich die Strompreise für Neuverträge praktisch verdoppelt haben und die Regierung einen Strompreisdeckel eingeführt hat. Mit den aktuellen Gaslieferproblemen und Gaspreiserhöhungen hat das nur in geringem Maß zu tun. Gas liefert nur 13 % des Stromes in der BRD, Wind und Sonne sind nicht teurer geworden.

Viele Kritiker haben in plastischer Weise vor einem Strom-Blackout gewarnt. Ich persönlich habe dies nicht für wahrscheinlich gehalten, sondern darin ein „strategisches Weichklopfen“ des Volksbewusstseins gesehen: Angesichts der Bedrohung durch einen Blackout nimmt man eine Strompreisverdopplung sozusagen murrend hin und ist froh, wenn die Wärmepumpe noch arbeitet und die Lampen nicht ausgehen. Hier ein aktueller Blick in das Stromnetz von Baden-Württemberg an einem sonnigen Wintertag. Wie vorhergesagt wurde das Stilllegen von Kernkraftwerken durch Hochfahren der Kohlekraftwerke kompensiert.

Das letzte Atomkraftwerk in B.-W., Neckarwestheim II, wird nach einer Betriebsumstellung in den Streckbetrieb gehen.

Für 2023 hat die Regierung den Solarbooster gezündet: Mehrwertsteuer-Befreiung für PV-Anlagen, Erhöhung der Einspeisevergütung, Solardachpflicht. Welches Problem wird damit gelöst?

Wohin fließen die enormen Geldmengen (Übergewinne) der Strompreiserhöhung?

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